In unserer Kategorie „Außer Konkurrenz“ stellen wir Restaurants mit vegetarischen Gerichten vor, die nicht den Anspruch haben in der „Sterneliga“ mitzuspielen, aber gleichwohl einen Besuch wert sind.
In Stuttgart wird voraussichtlich Ende Oktober 2020 mit dem Bellevue ein neues vegetarisches/veganes Restaurant eröffnen. Das ist eine wunderbare Neuigkeit, da rein vegetarische oder sogar vegane Restaurants in Stuttgart noch Seltenheitswert haben. Außer dem großartigen Körle und Adam gibt es vor allem Imbisse wie das wunderbare Super Jami oder die Yuícery, die allerdings nicht zum längeren Verweilen am Samstagabend einladen.
Gegenüber des Perkins Park mit tollem Ausblick auf die Stadt gab es vor Jahren den Biergarten Top Air. Dieser ist im November 2014 abgebrannt und die Fläche lag – bis auf eine kurze Zwischennutzung mit Food-Trucks – brach. Derzeit finden dort Bauarbeiten statt, es soll ein rundum verglaster Pavillon errichtet werden. Ende Oktober 2020 soll dort dann das Bellevue einziehen.
Um die Wartezeit zu verkürzen zieht das Bellevue von Anfang September bis Ende Oktober 2020 als Pop Up Restaurant in den Perkins Park und bietet dort jeden Freitag ein vegetarisches oder veganes Vier-Gänge-Menü an.
Pop up Restaurants in Stuttgart habe ich in sehr guter Erinnerung. Ende 2018/Anfang 2019 hatte im ehemaligen Kerns Pastetchen für einige Monate das Relish X Gaiser von Markus Hespeler und Sebastian Gaiser aufgemacht. Mr. Relish (Markus Hespler) hatte damals auch sehr viel Wert auf vegetarische Küche gelegt hat und großartige Kreationen (z.B. „Stuttgarter Feinstaub“) gezaubert. Ich hoffe immer noch, dass es irgendwann eine Neuauflage des Relish X Gaiser geben wird.
Wir haben für den dritten Freitagabend im September gebucht. Vorab muss man bei der Online-Buchung auswählen, ob man das vegetarische oder vegane Menü (beide 55 €) möchte. Zudem kann man sich zwischen Weinbegleitung (zzgl. 33 €) und alkoholfreier Begleitung (zzgl. 25 €) entscheiden. Vor Ort müssen dann nur noch Wasser und Kaffee bezahlt werden.
Der erste Blick auf den heutigen Gastraum ist beeindruckend. Ich kannte den Perkins Park nur von einer Abendveranstaltung, bei der man durch den Glasgang einfach durchgelaufen ist. Aber mit dem großen Kronleuchter und der Fensterfront mit Blick auf Stuttgart hat man eine wahnsinnig schöne Location. Hoffentlich wird es im neuen Restaurant Bellevue gegenüber ebenfalls so schön.
Die Begrüßung durch den Geschäftsführer Björn Boltz ist sehr herzlich. Danach bekommen wir sofort einen leckeren Campari-Aperitif. Auch der Tisch ist stilvoll eingedeckt, sogar schon mit den Servietten mit Bellevue-Logo. Die Abstände zu den anderen Gästen passen ebenfalls und die Fenster sind den ganzen Abend gekippt. Alles perfekt vorbereitet für einen schönen Abend.
Das Menü
Wir haben das vegetarische Menü mit Weinbegleitung gewählt. Das Motto des Menüs der ersten drei Termine ist die Karotte. Jeder Gang enthielt daher mal mehr und mal weniger Karotten. Neben dem Thema vegetarische/vegane Küche ist den Machern auch das Thema „Zero Waste“ wichtig. Es wird versucht möglichst wenig Abfall zu produzieren und alle Teile der verwendeten Produkte zu nutzen.
Das macht sich schon beim Aufstrich für das Brot bemerkbar. Es gibt eine Dip aus dem Karottengrün, also dem grünen oberen Teil der Karotte. Der zweite Dip besteht aus roter Bete, Champignon und Walnuss. Guter Einfall, aber geschmacklich sind beide Aufstriche etwas langweilig.
Dazu gibt es zwei verschiedene Brote, eines aus Karottenzesten. Auch hier will der Funke noch nicht ganz überspringen.
Der Gruß aus der Küche ist Karottencremesuppe mit frittierter Kaper und Ingwer. Die frittierte Kaper ist eine sehr gute Idee, hatte ich bisher noch nie. Leider ist der Ingwer in der Suppe etwas zu dominant, so dass man die Karotte kaum herausschmeckt.
Die Vorspeise nennt sich: aus dem Garten: Wildkräuter / Karotte / Saaten / Kresse / Traube / Sonnenblumenkerne. Der erste Eindruck ist gut. Lecker sind die fermentierten Karottenstücke. Auch das Dressing ist geschmackvoll. Leider ist es insgesamt dann doch vor allem ein Blattsalat. Es fehlt die besondere Idee um das auf ein höhere Niveau zu heben. Das Ricottabällchen liegt auch etwas verloren daneben und passt nicht so recht zum Rest.
Der Service ist super freundlich und sehr aufmerksam. Leider hapert es manchmal noch an der ein oder anderen Stelle. Der erste Wein wird mit den Worten „ein Sauvignon Blanc aus der Pfalz“ ohne Angabe des Weinguts serviert.
Als Zwischengang gibt es: mit der Zeit: Karotte / Sojasauce / Buchweizen / Meerrettich / Nori / Dill. Die Karotten sind so zubereitet, dass sie fast den Geschmack von Lachs haben und werden kalt serviert. Das kennt man schon aus dem Cupcakes & Bagels am Hölderlinplatz. Dort gibt es einen wahnsinnig guten Bagel mit Karotte, der als veganer Lachs-Bagel beworben wird. Die Buchweizenblinis sind leider etwas fad und trocken und der Meerrettich zu kräftig. Der Seealgenkaviar kommt dagegen kaum zur Geltung. Insgesamt eine gute Kreation, aber in der Umsetzung noch nicht perfekt. Man merkt aber, dass hier echt Potential vorhanden ist.
Dazu wird ein „Pink Bjoern“ Wein serviert, der vom Geschäftsführer Björn Boltz vertrieben wird. Es sich handelt sich dabei um ein Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon, Dornfelder und Spätburgunder. Der beste Wein an diesem Abend.
Als warmen Hauptgang gibt es: vom Feld: Karotte / Arborio-Reis / Steinpilze / Kräuterseitlinge / Erbsen. Leider finde ich den Reis zu bissfest, aber da hat jeder seine eigenen Vorstellungen wie hart der Reis sein darf. Vergleicht man das Risotto mit meinen Risotto-Referenzen in Stuttgart (Boteca oder Schweizers) dann fehlt leider noch einiges. Die Pilze sind von guter Qualität. Der Trüffel ist dagegen geschmacksarm. Insgesamt sind das auch etwas zu viel Produkte auf einmal mit zusätzlich noch den Erbsen und dem Karottensud. Das ganze Gericht hat auch eine deutlich schmeckbare Säure, die durch den Wein (White Bjoern) mit ebenfalls viel Säure nochmal verstärkt wird.
Der Nachtisch nennt sich: kühl und fruchtig: Karotte / Soja / Beeren / Crunch / Cake. In der Schale findet sich Karotteneis auf zerkleinerten Pinienkernen, daneben ein Karotten-Walnuss-Kuchen und dazu noch ein Karotten-Pannacotta. Das Eis ist gut, leider ist der „Crunch“, also die zerkleinerten Pinienkerne, zu hart. Der Kuchen ist lecker und hätte mich alleine mit dem Eis glücklich gemacht. Das Pannacotta ist dagegen ein Reinfall. Es schmeckt irgendwie künstlich. Zum Espresso gibt es noch eine kleine Praline aus Karottenresten um nochmal den Zero Waste Gedanken aufzugreifen.
Fazit
Das klingt jetzt bei der Detail-Analyse deutlich negativer als es insgesamt war. Wir hatten einen sehr schönen Freitagabend in großartiger Location mit nettem Service und ordentlichem Essen. Als Event ist das wirklich gut und eine Bereicherung für Stuttgart. Das zeigt sich auch daran, dass die ersten drei Termine jeweils restlos ausgebucht waren und die Gäste bei unserem Besuch – soweit erkennbar – alle sehr zufrieden wirkten.
Aber bei 55 € für das Menü muss sich dass Essen natürlich mit anderen Restaurants in dieser Preisklasse messen lassen. Im Fässle in Degerloch kostet das vegetarische Menu du Jardin mit fünf Gängen 58 € und im Schweizers kostet das vegetarische Vier-Gänge Menü 65 €. Man bewegt sich also nahe einer Preisklasse mit gehobener Konkurrenz gerade auch im vegetarischen Bereich. Zu den Menüs der beiden Restaurants besteht da doch noch ein deutlicher Unterschied.
Insgesamt ist aber spürbar, dass im Bellevue erhebliches Potential vorhanden ist. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass es ab Ende Oktober ein weiteres vegetarisches/veganes Restaurant in Stuttgart geben wird. Wir werden das Bellevue gerne ausgiebig testen.
Beim Abschied gibt es von außen auch noch einen tollen Blick auf den Perkins Park. Vielleicht wird diese grandiose Location ab und zu nochmal für solche tollen Events genutzt. Ich wäre natürlich wieder dabei.
Anschrift
Bellevue Pop Up Restaurant
Perkins Park
Stresemannstraße 39
70191 Stuttgart
https://bellevue.ticket.io/