Wien ist eine meiner Lieblingsstädte, nicht nur, aber auch wegen der vielfältigen vegetarischen und veganen Restaurantszene, die in Europa vielleicht nur noch von Berlin übertroffen wird. Nach intensiver Recherche habe ich mich für das Steirereck im Stadtpark entschieden, weil es für seine Gemüseküche bekannt und gleichzeitig eines der bekanntesten Gourmetrestaurants Wiens ist. Eine Institution, wie manche sagen würden.
Das Steirereck hat zwei Sterne im Guide Michelin (*Anmerkung: seit 21.01.2025 hat das Steirereck drei Sterne), 19/20 Punkte und 5 Hauben im Gault&Millau und rangiert derzeit auf Platz 22 der World’s 50 Best Restaurants. Küchenchef ist der langjährige Souschef Michael Bauböck. Der bisherige Küchenchef Heinz Reitbauer hat sich in die Rolle des Patrons zurückgezogen. Seine Frau Birgit Reitbauer leitet weiterhin den Service.
2019 holte Juan Amador mit seinem Restaurant Amador in Wien die ersten drei Sterne nach Österreich. Ich habe nur am Rande mitbekommen, dass Teile der österreichischen Gastroszene etwas überrascht waren, dass nicht das österreichische Steirereck, sondern das Restaurant Amador mit dem deutschen Koch mit spanischen Wurzeln den dritten Stern bekommen hat. Ob das gerechtfertigt ist, kann ich – mangels Besuch im Amador – nicht beurteilen. Auffällig ist aber, dass im Steirereck viele Auszeichnungen hängen. Die Michelin-Plaketten habe ich allerdings nicht gesehen.
Steirereck, Wien
An diesem kalten Dezemberabend ist von der beeindruckenden Architektur des Gebäudes, in dem das Steirereck im Wiener Stadtpark untergebracht ist, nicht viel zu sehen. Doch selbst im Dunkeln lässt sich erahnen, dass das Gebäude spektakulär sein muss.
Der Empfang im Steirereck ist sehr freundlich. Interessant ist, dass das Restaurant innen verwinkelt ist. Das hat den Vorteil, dass die einzelnen Tische nicht nur weit auseinander stehen, sondern auch kaum einsehbar sind. Zudem ist das Licht im Restaurant sehr gedämpft und es gibt nur Spots über den einzelnen Tischen. Dies verstärkt den Eindruck, dass sich viel weniger Gäste im Restaurant befinden, als es tatsächlich der Fall ist.
Die Tische sind einfach, aber schön gedeckt. Eine Besonderheit sind die zusätzlichen Beistelltische, in denen sich Besteck und Teller befinden, so dass der Service diese nicht nach jedem Gang zum Tisch tragen muss, sondern aus der Schublade nehmen kann.
Besonders positiv fällt mir die angenehme Temperatur im Restaurant auf. In gehobenen Restaurants ist es mir – auch mit Jackett – oft etwas zu kalt. Im Steirereck passt die Temperatur den ganzen Abend, auch nach ein paar Gläsern Wein ist es wiederum nicht zu warm.
Eine Besonderheit des Steirerecks sind die verschiedenen Wagen, die durch das Restaurant gerollt werden. Es gibt Brotwagen, Käsewagen, Digestivwagen und zu Beginn des Abends einen Wagen mit diversen Aperitifs, die in Eis gekühlt werden.
Für mich beginnt der Abend mit einem sehr trockenen Sekt vom Weingut Gross aus der Südsteiermark, einer Cuvée aus 50% Morillon, 25% Weißburgunder und 25% Welschriesling aus dem Jahr 2014.
Eine weitere Besonderheit des Steirerecks ist, dass es eigentlich zwei Menüs gibt. Es gibt sieben Gänge, wobei der Gast bei jedem Gang zwischen zwei Alternativen wählen kann. Schon beim „normalen“ Menü sind fünf der sieben Gänge vegetarisch. Für mich gibt es ein rein vegetarisches Menü, das zusätzlich zu den vegetarischen Gängen des Menüs noch einige weitere Gänge enthält. Ich entscheide mich für alle sieben Gänge.
Dazu kann man zwischen einer Weinbegleitung, einer alkoholfreien Begleitung oder Weinen aus der sehr umfangreichen Weinkarte wählen. Heute muss es für mich die Weinbegleitung sein.
Wie in einigen anderen Restaurants gibt es auch im Steirereck kleine Kärtchen mit Informationen zu den kommenden Gängen. Zu Beginn gibt es eine kleine Information über die österreichische Küche.
Das Menü
Was mir den ganzen Abend über sehr positiv aufgefallen ist, ist die Aufmerksamkeit des Servicepersonals. Egal welcher Kellner oder welche Kellnerin gerade in der Nähe ist, er oder sie versucht den Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Dazu kommt, dass der Service freundlich und locker ist, so dass man sich schon nach wenigen Minuten willkommen und entspannt fühlt.
Das Menü beginnt mit drei kleinen Grüßen aus der Küche. Es gibt ein Karotten-Törtchen, das auf einem durchsichtigen, filigranen Boden serviert wird. Der Geschmack ist beeindruckend, beim Kauen entfalten sich ganz unterschiedliche Aromen, vor allem von Estragon und Karotte. Außerdem hat der Boden eine karamellartige Knusprigkeit. Das zweite Tartlette ist mit Topinambur-Creme bestrichen, aber nicht ganz so beeindruckend wie das erste. Das dritte Bällchen enthält eine warme Tomatencreme, die süß und vollmundig schmeckt.
Neben Butter und Salz fährt ein Brotwagen mit einer schier unglaublichen Auswahl an Broten vor. Nachdem der Brotsommelier seine Brote vorgestellt hat, hat man die Hälfte schon wieder vergessen. Ich entscheide mich unter anderem für ein klassisches Sauerteigbrot, das zu überzeugen weiß. Im Laufe des Abends werden immer wieder neue Brote angeboten, aber bei noch sieben ausstehenden Gängen muss ich mich zurückhalten.
Der erste Gang nennt sich Radicchio Vielfalt mit Fenchel, Korinthen & Pimpernelle. In der Mitte befindet sich eine Pilzschnitte mit Fenchel, die angenehm erdig schmeckt, darüber ein Deckel aus geliertem Radicchio-Saft, der vor allem optisch wirkt. Der Radicchio-Salat selbst ist sehr bitter, wird aber durch die eingelegten Korinthen und einen süßen Senf gut gebändigt. Ein spannender Auftakt mit einem besonderen Salatgericht.
Dazu gibt es als Weinbegleitung einen Furmint „Attila“ vom Weingut Claus Preisinger aus Österreich aus dem Jahr 2021. Auch wenn es sich um einen naturbelassenen Wein handelt, ist er mit seiner leicht rauchigen Aromatik ein angenehmer Begleiter zu diesem bitteren Gericht. Die Weinbegleitung beginnt auf hohem Niveau.
Als zweiten Gang gibt es Artischocken mit Melonengurke, Melisse & Bergamotte. Der Star des Tellers ist für mich der Spinat mit Zitronenmelisse. Ich habe noch nie einen so guten Spinat gegessen, so kräftig im Aroma, aber ohne jede Bitterkeit. Auch die in Madeira marinierten Artischocken schmecken perfekt mit der hervorragenden Sauce aus Buttersaft und Madeira. Nur mit dem Block aus Gurken kann ich mich nicht anfreunden. Die Gurken sind gut, wirken aber ein wenig wie ein Fremdkörper.
Der Pecorino „Don Carlino“ (2023) vom Weingut Nicoletta de Fermoer aus Italien passt dagegen hervorragend zum Gericht. Der Wein bietet ein sehr breites Aromenfeld zwischen fruchtigen Noten von Aprikose oder Banane und fast kräuterigen Anklängen.
Als dritten Gang wird Fenchel mit Hanfsamen, Salzfeigen & Liebstöckel serviert. Der geschmorte Fenchel schmeckt hervorragend, ohne Bitterstoffe, aber mit dem klassischen, kräftigen Fenchelgeschmack, der durch die leicht süßliche Glasur perfekt ergänzt wird. Dazu gibt es geröstete Hanfsamen, die für einen schönen Crunch sorgen. Mindestens genauso gut ist die Fenchelcreme mit gesalzenen Feigen, intensiv im Geschmack, leicht süßlich und wieder mit Crunch. Der bisher beste Gang des Menüs.
Nachdem ich 2023 bei meiner Reise durch Slowenien die dortige Weinwelt kennenlernen durfte, bin ich überrascht, in der Weinbegleitung einen Wein aus Slowenien zu finden. Für mich der erste slowenische Wein, der mir außerhalb Sloweniens angeboten wird. Der Sauvignon Blanc „Pruh“ vom Weingut Ciringa aus dem Jahr 2019 begeistert mich mit einem sehr mineralischen Geschmack und einer schönen Holznote.
Als vierten Gang gibt es Maronikkürbis mit Radicchio, Boskop Apfel & schwarze Ribiseln. Bisher waren alle Gänge auch im aktuellen „normalen“ Menü enthalten. Dies ist der erste zusätzliche Gang des vegetarischen Menüs. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass der Gang kalt ist. Für mich ist es etwas ungewöhnlich, beim vierten Gang wieder einen kalten Gang einzufügen. Auch sonst überzeugt mich der Gang nicht wirklich. Der Kürbis schmeckt ganz okay, ebenso die Suppe aus Kürbis und Apfel und etwas Öl; aber mehr auch nicht. Dazu gibt es noch eine kleine Extraschale, auf der sich ein in Radicchio eingewickelter Apfel mit Johannisbeeren befindet. Auch dieser Teil des Ganges ist kalt und eher unspektakulär. Der Gang ist handwerklich natürlich ohne Zweifel gut, kann aber – aus meiner Sicht – mit dem Niveau der drei vorherigen Gänge nicht mithalten.
Die Weinbegleitung hingegen bleibt mit dem Macon-Verze (2021) vom Weingut Jules Desjourneys aus Frankreich, einem klassischen und angenehmen Chardonnay, auf sehr hohem Niveau.
Der Hauptgang nennt sich Lauchherz mit Kochsalat, Orangeblüte & Salzmarille. Der Lauch wurde auf den Punkt gebraten und dann abgeflämmt. Geräucherter Lauch ist eines meiner Lieblingsgerichte, aber überraschenderweise nicht das Highlight auf diesem Teller. Denn die Buttermilch-Salzmarillen-Molke ist genial mit einer schönen Säure der Buttermilch und gleichzeitig der Süße der Aprikose. Ich bin froh, dass ich noch etwas Brot aufgehoben habe, um den Teller komplett leer zu wischen. Da vergesse ich fast, dass auch der Spinat wieder hervorragend war und es zusätzlich noch Sellerie und Kochsalat und geröstete Mandeln auf dem Teller gab. Mein absolutes Lieblingsgericht an diesem Abend.
Dazu gibt es vom Weingut Knoll aus Österreich einen Riesling Smaragd aus einer Mangnumflasche von 2007. Ein genialer knackiger Riesling, der aber durch die lange Lagerung deutlich weniger Säure hat. Ein perfekter und passender Begleiter zu diesem fantastischen Gericht.
Statt Käse hätte ich auch Holunderblüten-Buttermilcheis nehmen können. Aber nach allem, was ich über das Steirereck gehört habe, wäre es ein Frevel, auf den Käsewagen zu verzichten. Also lasse ich den Käsewagen anrollen und mir vier sehr kräftige Ziegen- und Schafskäse empfehlen. Ich bereue es nicht.
Dazu passt ein Gewürztraminer „Fürstentum“ Grand Cru der Domaine Weinbach aus dem Elsass.
Beide Desserts klingen hervorragend. Aber Quitte mit Christstollen, Safran & Zitrone klingt – für mich – wie ein wahr gewordener Traum. Unter den Unmengen von Sahne befindet sich eine geschmorte und karamellisierte Quitte, die beste Quitte, die ich je gegessen habe. Dazu wird der Christstollen als „Armer Ritter“ serviert. Zusätzlich gibt es noch ein geniales Nussbuttereis. Das ist – im positiven Sinne – ein „perverses“ Dessert mit so vielen tollen Komponenten. Fantastisch und opulent.
Der dazu servierte NV Ratafia Champenois „Solera 15-19“ (PN) vom Weingut „Eric Rodez“ aus Frankreich, ein gespritzer Wein, ist dagegen überhaupt nicht mein Fall. Viel zu süß und mit zu viel Alkohol. Aber wer wird sich bei diesem Gang schon beschweren.
Die Petits Fours bleiben auf hohem Niveau. Neben einem hervorragenden Brandteiggebäck mit einem kleinen Pilz oben drauf gibt es ein gutes Pfirsichgelee. Dazu ein langes Stück Schwarzwurzel, das wie Lakritz aussieht, aber gar nicht so schmeckt. Nicht so mein Fall ist ein Schälchen mit verschiedenen Beeren, in dem sich auch zweit Sorten kleiner Pilze befinden. Aber vielleicht bin ich einfach satt.
Fazit
Das vegetarische Menü im Steirereck braucht sich nicht zu verstecken, es ist kreativ, spannend und wohlschmeckend. Die Geschmacksbilder sind oft etwas subtiler, aber für mich sehr passend. Bis auf den Kürbisgang hat mir jeder Gang sehr gut geschmeckt. Vielleicht fehlt noch die absolute Überraschung oder das besondere Highlight, um meine anderen Favoriten vom Thron zu stoßen. Aber das Steirereck schafft es in meine Top 5 der vegetarischen Restaurants.
Auch die Weinbegleitung war hervorragend, mit spannenden Weinen und dafür fairem Preis. Einziger Wermutstropfen war für mich, dass es keinen Rotwein gab. Ich schaue dabei etwas neidisch auf die Weinbegleitung im „normalen“ Menü und wünsche mir auch im vegetarischen Menü zumindest einen Rotwein. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Das Ambiente im Steirereck ist toll. Besonders gut gefällt mir, dass man auf dem Weg zur Toilette einen Blick in die Küche werfen kann. Dort stehen über zwanzig Köchinnen und Köche und arbeiten wie ein Orchester konzentriert und ruhig an den nächsten Gängen. Das ist sehr beeindruckend.
Der Service – selbst auf Zwei-Sterne-Niveau – muss noch einmal besonders hervorgehoben werden. Diese Aufmerksamkeit und Freundlichkeit sucht ihresgleichen.
Bewertung
- Essen 9,5/10
- Service 10/10
- Ambiente 9/10
- Gesamtwertung: 9,5/10
Anschrift
Steirereck
Am Heumarkt 2A
A-1030 Vienna
Österreich
www.steirereck.at